Du oder Sie in der Stellenanzeige
Ein ausführlicher UX-Test zeigt: Die Du-Ansprache kommt in der Deutschschweiz ebenso wie in der Romandie gut an. Der Glaubenskrieg zur Du- oder Sie-Frage lohnt sich deshalb nicht.
Sind Westschweizer komplizierter als Deutschschweizer und legen mehr Wert auf vornehme Distanz im Berufsalltag? Wiederholt haben wir dies im Rahmen von Employer-Branding-Projekten vernommen. Etliche Unternehmen entschieden sich deshalb, für die Candidate Experience in der Westschweiz weiterhin aufs «Vous», also die Sie-Ansprache zu setzen. In der Deutschschweiz fiel ihnen hingegen der Wechsel aufs Duzen nicht schwer. Je nach dem, auf welcher Seite des helvetischen Röschtigrabens man die Frage stellt, fällt die Antwort jedoch unterschiedlich aus. Auch in der Romandie begegnete uns kürzlich die Vermutung, dass die Deutschschweizer sich schwertun könnten mit der Du-Ansprache.
Umfangreicher UX-Test zur Du-Ansprache durchgeführt
Umso gespannter waren wir auf den UX-Test zu genau dieser Frage, den wir im Auftrag des Krankenversicherers CONCORDIA durchgeführt haben. Konkret prüften wir ein neues digitales Stelleninserat sowie eine zugehörige Landingpage für drei verschiedene Zielgruppen. Wir führten dabei Einzelinterviews mit je 15 Personen in der Romandie und der Deutschschweiz durch. Nebst der persönlichen Haltung zur Du-Ansprache befragten wir die Frauen und Männer im Alter zwischen 25 und 50 Jahren auch zu generellen Likes und Dislikes bei der Jobsuche.
Kulturelle Unterschiede geringer als vermutet
Die Schlüsselerkenntnis vorneweg: Die Unterschiede bei der Präferenz zur Du- oder Sie-Ansprache sind geringer als angenommen. Während in der Deutschschweiz nur ein einziger von 15 Kandidaten lieber beim Sie blieb im Stellenbewerbungsprozess, waren es in der Romandie deren fünf. Anders ausgedrückt: Eine klare Mehrheit der Testpersonen zeigte sich in beiden Landesteilen der Schweiz zustimmend bis begeistert vom Duzen ab dem ersten HR-Kontakt, und zwar unabhängig vom Alter. So waren unter den kritischen Personen in der Westschweiz die meisten um die 30; Du-Befürworter wiederum fanden sich in beide Landesteilen quer durch alle Altersschichten.
Das Testergebnis bezieht sich auf ein Stelleninserat, in dem das Du aufgrund der sehr kurzen Texte äusserst deutlich zutage tritt. Noch geringer wurde die Differenz bei der Haltung zum Du auf der Landingpage. Da dort das Du in einen längeren Lauftext eingebettet ist und damit sanfter erscheint, blieben lediglich noch drei Romands bei der Einschätzung, sie würden das Siezen bevorzugen. Der Deutschschweizer Kandidat störte sich ebenfalls nicht mehr am Du auf der Landingpage, womit die Zustimmung hier komplett war.
Let’s talk
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Diese Gründe sprechen für die Du-Ansprache
Basierend auf den UX-Tests mit Kandidaten aus der Romandie und der Deutschschweiz, können wir folgende Punkte festhalten:
- Das Du auf Stelleninserat und Karriere-Website schafft Nähe und Vertrautheit. Oder wie es eine Westschweizer Testperson schön ausdrückte: «Le tutoiement aide à humaniser l’endroit de travail et faciliter la collaboration». Das Du macht den Arbeitsplatz menschlicher und erleichtert die Zusammenarbeit.
- Es entspricht dem Selbstverständnis der jungen Generation (sogar weit darüber hinaus) und macht die Arbeitgebermarke ein Stück jünger – was gerade für Firmen mit etwas ältlichem, konservativen Image vorteilhaft sein kann.
- Das Du steht für Offenheit, flache Hierarchien und einen kollegialen Umgang (dieses Versprechen sollte dann auch eingelöst werden)
- Es wirkt sympathisch – und trotzdem professionell, wie verschiedene Testpersonen betonten (vorausgesetzt, es wird auch konsistent gehandhabt).
Anzumerken bleibt, dass das Du zur Kultur des Unternehmens passen muss und lediglich einer von zahlreichen Faktoren ist, die bei der Candidate Experience berücksichtigt werden sollten. Eine unternehmensinterne Du-Kultur ist Pflicht dabei, versteht sich. Bei der CONCORDIA beispielsweise passt die Du-Ansprache ausgezeichnet zum Attribut «familiär», das eine wichtige Rolle spielt im Employer Branding (Teil der Employer Value Proposition).
Diese Gründe sprechen für die Sie-Ansprache
- Eine Gegnerin der Du-Ansprache hielt fest, das Du wirke billig: «Le tutoiement, ça convient peut-être pour les jeunes qui travaillent chez McDonald. Mais pas pour un poste de responsabilité.» Das Du passt vielleicht zu den Jungen, die bei McDonalds arbeiten. Aber sicher nicht für verantwortungsvolle Aufgaben, so der Kommentar.
- Umgekehrt gesagt: Die Sie-Ansprache steht für höfliche Distanz und Respekt, etwa vor den fachlichen Kompetenzen einer Person. Dem individuellen Wechsel zum Du, nachdem man sich persönlich kennengelernt hat, steht dies nicht im Wege.
- Ebenso steht das Siezen für Seriosität, Zurückhaltung und eine gewisse Diskretion. Als typische Sie-Domänen wurden etwa die Finanzbranche, Behörden, Anwälte oder die Justiz genannt.
Keine Glaubensfrage daraus machen
Wir befragten die Du-kritischen Testpersonen in der Folge, ob Sie wegen des Duzens auf eine Bewerbung verzichten würden, auch wenn die Stelle interessant erscheine. Dies war bei niemandem der Fall. Mit anderen Worten: Unternehmen, die aufs Du wechseln, können davon ausgehen, dass sie keine Kandidaten verlieren alleine wegen der Du-Ansprache. Es lohnt sich also nicht, aus diesem «Soft-Faktor» eine Glaubensfrage zu machen. Und wenn tatsächlich die eine oder andere Person auf eine Bewerbung verzichtet wegen des Duzens, dann ist dies durchaus wünschenswert. In diesem Fall hätte sie nämlich mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht zur Firma gepasst.
Unternehmen, die aufs Du wechseln, können davon ausgehen, dass sie keine Kandidaten verlieren alleine wegen der Du-Ansprache.
Wichtig ist vielmehr, alle Vorgesetzten sorgfältig zu schulen und sämtliche HR-Kontaktpunkte konsistent zu bewirtschaften in Bezug auf die Du- oder Sie-Ansprache. Hier hapert es nämlich noch manchenorts. Ebenso müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass das Du beim Erstkontakt mit den Bewerbenden nochmals bekräftigt werden muss.
Was wirklich zählt beim Rekrutierungsprozess
Angesichts der heiss geführten Du- oder Sie-Diskussion dürfen andere fundamentale Erfolgsfaktoren der Personalrekrutierung nicht vergessen gehen – auch dies haben unsere UX-Tests gezeigt:
- Stellenbewerberinnen und -bewerber erwarten eine schnelle erste Reaktion sowie regelmässige und gut begründete Updates zum Stand des Verfahrens.
- Eine persönliche Ansprechperson und ein rasches persönliches Treffen sind weiterhin wichtig – automatisierte Antworten, anonyme Karriereseiten und Bot-Interviews sind je nach Branche unbeliebt.
- Die Komplexität des Bewerbungsprozesses muss zur Komplexität des Anforderungsprofils passen; für einfache Jobs sollte also auch das Verfahren entsprechend einfach sein.
- Der gesamte Bewerbungsprozess sollte möglichst kurz sein – in Zeiten des Fachkräftemangels ist Tempo Pflicht; wer zu lange wartet mit dem Entscheid, bleibt aussen vor.
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Autor
Philipp Metzler ist Mit-Gründer und Partner bei C-Factor. Einst als Journalist gestartet, verfügt er über rund 25 Jahre Erfahrung in der Kommunikationsberatung. Er hat die Entwicklung von der klassischen Kommunikationsagentur mit PR-Fokus zur Spezialistin für Content Marketing, Employer Branding und Projektkommunikation geprägt. Als Leiter Beratung ist er Sparring Partner für Kund:innen, das Beratungsteam sowie das Kreativnetzwerk der Agentur.
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