Gendern

Wir helfen mit pragmatischen Tipps für den Kommunikationsalltag.

Genderstern, Genderdoppelpunkt oder zurück zur guten alten Rechtschreibung? Deutsch verliert gerade seine maskuline Prägung – und stellt Kommunikationsprofis vor knifflige Fragestellungen. Wir haben praktische Tipps rund ums Gendern zusammengestellt für dich.

Geht es ums Gendern in der deutschen Sprache, scheiden sich die Geister (oder die Geister*innen?). Ist Deutsch nicht ohnehin schon kompliziert genug? «Gendern nervt!» und ähnliche Aussagen tauchen beim Thema geschlechtergerechte Sprache rasch auf. Doch während engagierte Politiker:innen sich noch dagegen stemmen – zum Beispiel mit der städtischen Volksinitiative «Tschüss Genderstern» in Zürich – findet die Veränderung unserer Sprache bereits auf breiter Front statt. Immer mehr Medien wechseln auf die gendergerechte Schreibweise, fortschrittliche Unternehmen passen ihre Stelleninserate an, um in Zeiten des Fachkräftemangels niemanden zu verpassen und Grossunternehmen wie Postfinance spricht ihre Werbezielgruppe mit Anleger:innen an – vielleicht auch, weil es eigentlich gar nicht so schwierig ist.

Buchstabe weg – Mannesehre in Gefahr?

Eine gute Hilfestellung für Sprachprofis bietet Christine Olderdissen in ihrem Buch «Genderleicht». Dass Sprache fair und gleichberechtigt sein soll, ist zwar ein Grundsatz, hinter dem viele stehen könnten, schreibt die Juristin mit einem Faible zum Texten. Wenn jedoch der eine oder andere Buchstabe verschwindet, wie es bei Kund:in oder Kolleg:in unumgänglich ist, scheint sich das männliche Geschlecht ernsthaft bedroht zu fühlen. In der aktuellen Experimentierphase, in der wir uns im Deutschen befinden, seien jedoch Kompromisse von allen Seiten notwendig: «Genderzeichen haben einen Verzicht auf Privilegien zur Folge. Männer sind sprachlich nicht ganz so präsent, wie sie es gewohnt sind. Der Gewinn ist eine sprachliche Sichtbarkeit für alle. Und das ist gerecht», so die Bilanz von Olderdissen. Die wichtigsten Tipps für den Kommunikationsalltag haben wir hier zusammengestellt:

Ein Plakat mit der Aufschrif "Kollegen:innen", wobei die Endung von "Kollegen" durchgestrichen ist.

Genderneutral schreiben – praktische Tipps und Beispiele

Bevor wir in die Details eintauchen, möchten wir dir einige Beispiele fürs genderneutrale Schreiben mitgeben.

  • Endung -er: Männliche Wörter mit einer -er Endung, die durch -in weiblich werden, eignen sich ideal, um sie mit Genderzeichen genderneutral zu machen. Dazu gehören viele Berufsbezeichnungen und Personen, die sonstige Tätigkeiten ausüben, z. B. Maurer:in, Fussgänger:in.
  • Endung -e oder -en: Bei einer männlichen Bezeichnung mit einer -e oder –en Endung (z. B. Kollege, Kollegen) wird zum Gendern die Endung weggelassen: Kolleg:in, Kolleg:innen. Das erscheint auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich (siehe oben), dürfte sich mit der Zeit aber einbürgern. Wer sich an den abgetrennten Buchstaben stört, denkt sich am besten ein anderes Wort aus. Wie wäre es mit Teammitglied Teammitglieder?

Genderneutrale Bezeichnungen

  • Endung –schaftWollen wir Leserschaft oder Ärzteschaft gendern, käme das Genderzeichen mitten ins Wort. Das ist holprig zu lesen. Hier lohnt es sich, sich andere Begriffe auszudenken. In diesem Fall eignen sich beispielsweise Publikum, die Lesenden oder ärztliches Fachpersonal.
  • JederJeder oder jede kann in den meisten Fällen durch alle ersetzt werden.
  • Niemand/jemand: Diese Indefinitpronomen sind zwar genderneutral, aber sie produzieren oft Relativsätze. Diese fangen in der Regel mit der an. Beispiel: «Ich kenne niemanden, der das kann». Hier könnten wir auch die einsetzen. Oder wir schreiben: «Ich kenne keine Person, die das kann» oder «Ich kenne niemanden mit diesen Fähigkeiten» oder «Wer das kann, weiss ich nicht». Im Schweizerdeutschen erübrigt sich dieses Problem, da der Relativsatz meist mit wo eingeleitet wird.
  • Umgang mit Fallanpassungen (Flexionen): «Ich lasse den Fussgängern:innen den Vortritt» klingt holprig, wäre aber korrekt. Denn die Flexion muss laut Olderdissen mit. Wir entscheiden uns in diesem Fall dafür, den Satz umzuschreiben: «Die Fussgänger:innen haben Vortritt». Elegant nicht?
  • Weniger Personen, mehr Tätigkeiten: Teilnehmer wird zu TeilnahmeBürgersteig zu Trottoir, Geschäftsleiter zu Geschäftsleitung.
  • Partizipien: Mit Partizipien lassen sich genderneutrale Begriffe ohne Sternchen und Doppelpunkt bilden.
  • Partizip I: VerstorbeneVerheirateteGeboreneVerlassene; herausgegeben von (statt Herausgeber)
  • Partizip II: LesendeStudierendeMitarbeitende (Die kontinuierliche Form ist teilweise umstritten, weil sie theoretisch impliziert, dass beispielsweise Studierende 24/7 am Studieren sind. Olderdissen und auch wir finden aber, dass sich diese Partizip-Verwendung längst eingebürgert hat).
  • Substantivierte Adjektive: ÄltereBlindeNon-Binäre
  • Anreden, Begrüssungen: Anstatt Sehr geehrte Damen und Herren empfiehlt sich Herzlich willkommen oder Guten Tag (oder in der Schweiz Grüezi).

Doppelnennung

  • Weibliche Form mit Umlaut bei AnwaltArzt oder Bauer: Die weibliche Form wird bei diesen Beispielen mit einem Umlaut gebildet, was zu merkwürdigen Konstruktionen führt: Anwält:in, Ärzt:in, Bäuer:in. Insbesondere die letzte Konstruktion mutet fremd an, weil es «Bäuer» allein nicht gibt. Deshalb suchen wir eine elegante Alternative wie Landwirt:in. «Anwält» kann zwar auch nicht allein stehen, aber immerhin wird die Mehrzahl Anwälte damit gebildet.
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Sternchen, Doppelpunkt, genderneutral oder Doppelnennung: Was ist richtig?

  • sachlich korrekt,
  • verständlich und lesbar,
  • rechtssicher und eindeutig
  • und gut vorlesbar sind.

Nachteile:

  • Die Doppelnennung benötigt eine grosse Anzahl Zeichen. Gerade in Titeln ist das eher unschön. Für sehr lange Wörter ist diese Option kaum handhabbar, z. B. Geschäftsleitungsvertreter und Geschäftsleitungsvertreterinnen. Ebenso schwierig wird es, wenn im selben Textabschnitt mehrere Doppelnennungen vorkommen. Texte werden dann sehr schwerfällig.
  • Non-Binäre sind bei Doppelnennung ausgeschlossen.
  • Zu viele genderneutrale Begriffe wiederum verwässern den Inhalt und führen zu Oberflächlichkeit. Hier ist also ein gutes Augenmass erforderlich.

Vorteile:

  • Beide Varianten verhindern, dass ein Text über und über mit Sternchen oder Doppelpunkten gefüllt ist.

Nachteile:

  • Sonderzeichen im Wort sind nicht barrierefrei. Sehbeeinträchtigte können sie nur schwierig erkennen und Maschinen können sie nicht gut vorlesen. Bestimmt wird sich das mit der Weiterentwicklung von Screenreadern verbessern.
  • Werden die Zeichen zu oft verwendet, stören sie den Lesefluss.

Vorteile:

  • Genderstern: Aktuell ist die Empfehlung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, möglichst wenig Genderzeichen zu verwenden. Wenn ein Zeichen unumgänglich ist, dann lieber die gendergerechte Schreibweise mit Sternchen.
  • Der Doppelpunkt ist im Gegensatz dazu weniger auffällig und damit diskreter. Wir haben uns deshalb für diese Schreibweise entschieden, mitunter auch, weil sie von Google verstanden wird.

Arbeitgeber:in und Bürotisch:in – was muss ich gendern?

Du wendest nun in deinen Texten eine gendergerechte Schreibweise an. Aber in welchen Fällen ist gendern relevant? Dazu gibt es einen einfachen Grundsatz: gendere nur Menschen.

  • «Mein Arbeitgeber ist die Firma ABC AG»: Hier muss nicht gegendert werden, weil sich Arbeitgeber auf die Firma bezieht. Da Firma grammatikalisch weiblich ist, müsste es aber korrekt heissen: «Meine Arbeitgeberin ist die Firma ABC AG».
  • «Meine Vorgesetzten sind meine Arbeitgeber». Hier bezieht sich Arbeitgeber auf Personen, also wird gegendert, weil wir nicht wissen, ob die Vorgesetzten weiblich oder männlich sind: «Meine Vorgesetzten sind meine Arbeitgeber:innen».

Frauen sind doch mitgemeint: warum kann ich nicht das generische Maskulinum verwenden?

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